Direkt am Berliner Alexanderplatz wird derzeit eines der größten innerstädtischen Energieprojekte für klimafreundliche Wärme- und Kälteversorgung realisiert. Der ehemalige DDR-Verwaltungskomplex „Haus der Statistik“ wird umfassend saniert und mit einem innovativen Wärmepumpensystem ausgestattet, das Abwasser als Energiequelle nutzt. Das Konzept gilt als Modellfall für urbane Bestandsgebäude.

Vom Leerstand zur Energiewende im Quartier
Das Gebäudeensemble entstand zwischen 1968 und 1970 und stand mehr als zehn Jahre leer. Nun entwickelt das Land Berlin es zu einem modernen Verwaltungs- und Gewerbestandort mit rund 39.000 Quadratmetern Nutzfläche. Für die Versorgung wird auf ein Anergienetz gesetzt, gespeist aus der konstanten Temperatur des Abwassers. Eine klassische Gas- oder Fernwärmeversorgung ist nicht vorgesehen.
Funktionsweise der Abwasserwärmenutzung
In einem nahegelegenen Kanal wird die Wärme über ein spezielles Übertragersystem entzogen. Diese Energie gelangt über ein ungedämmtes, temperaturstabiles Nahwärmenetz in drei Wärmepumpenzentralen im Gebäude.
- Im Winter erhöhen Wärmepumpen die Temperatur auf rund 45 Grad Celsius, um Heizwärme bereitzustellen.
- Im Sommer wird überschüssige Wärme ins Abwassersystem zurückgeführt – eine ressourcenschonende Alternative zur Klimatisierung.
- Bei Spitzenlasten kommen elektrische Heizstäbe mit bis zu 210 Kilowatt thermischer Leistung zum Einsatz.
- Pufferspeicher gleichen Verbrauchsspitzen aus, Photovoltaikanlagen auf den Dächern liefern zusätzlichen Strom.
Technische und bauliche Herausforderungen
Die Umsetzung erforderte präzise Planung. Rohrleitungen mussten im innerstädtischen Raum unter Berücksichtigung bestehender Infrastruktur verlegt werden. Platzmangel in den Heizzentralen machte eine exakte Anlagenplanung nötig. Zudem wurde ein spezielles Schallschutzkonzept für Büros und Nachbarschaft entwickelt. Die gleichzeitige Nutzung für Heizen und Kühlen verlangte eine fein abgestimmte hydraulische Steuerung. Vor Projektstart prüfte eine einjährige Messung die Eignung der Abwasserquelle hinsichtlich Temperatur und Durchfluss.
Leistungsdaten und Investitionen
Die Anlage verfügt über sieben Wärmepumpen mit insgesamt 1.390 Kilowatt thermischer und 302 Kilowatt elektrischer Leistung. Bau und Installation liefen von 2020 bis 2025, die Inbetriebnahme ist für Sommer 2024 vorgesehen.
- Kosten Wärmepumpensystem: rund 3 Millionen Euro
- Gesamtkosten inklusive Infrastruktur und Photovoltaik: etwa 6 Millionen Euro
- Fördermittel aus der Nationalen Klimaschutzinitiative: 1,8 Millionen Euro
Beitrag zur urbanen Energiewende
Nach Inbetriebnahme soll das System jährlich etwa sechs Millionen Kilowattstunden fossiler Energie ersetzen. Der CO₂-Ausstoß wird entsprechend gesenkt, während auf konventionelle Kühlsysteme verzichtet werden kann. Die kontinuierliche Effizienzüberwachung soll ab Ende 2024 wichtige Erkenntnisse für künftige Projekte in dicht bebauten Stadtlagen liefern.
Erkenntnisse für andere Bauvorhaben
Die Planer empfehlen, das Abwasserpotenzial frühzeitig zu ermitteln, um verlässliche Daten für die Auslegung zu erhalten. Der Trassenverlauf sollte in Abstimmung mit Stadtwerken und Behörden festgelegt werden. Schallschutz ist auch bei Innenaufstellung entscheidend für die Akzeptanz. Eine präzise hydraulische Planung ist bei gleichzeitiger Wärme- und Kältebereitstellung unerlässlich. Die Integration in bestehende Gebäudeautomationen sollte früh abgestimmt werden, um einen reibungslosen Betrieb zu sichern.