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Strompreise steigen plötzlich – dahinter steckt ein grundsätzliches Problem

Der Herbst hat das Energiesystem wieder spürbar unter Druck gesetzt. Mit sinkenden Temperaturen und schwächerer Sonneneinstrahlung stiegen die Strompreise auf den höchsten Stand seit Februar 2025.

Nach Daten der Leipziger Energiebörse EEX kostete eine Megawattstunde Strom Anfang Oktober zeitweise knapp 100 Euro – ein Plus von 3,6 Prozent binnen weniger Tage. Auch die europäischen Gaspreise legten zu, da Prognosen eine kältere Witterung erwarten lassen. Ab Mitte Oktober liegen die Temperaturen voraussichtlich zwei Grad unter dem langjährigen Durchschnitt.

So viel erneuerbare Energie wie nie zuvor

Die Energiewende in Deutschland schreitet voran, doch ihre Abhängigkeit vom Wetter wird zunehmend zur Belastungsprobe. Erneuerbare Energien deckten nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fast 57 Prozent des Stromverbrauchs in den ersten drei Quartalen 2025. Damit liegt der Anteil so hoch wie nie zuvor. Gleichzeitig zeigt sich, dass das politische Ziel der Klimaneutralität bis 2045 große Herausforderungen mit sich bringt – vor allem bei Versorgungssicherheit und Preisstabilität.

Wetter bestimmt zunehmend die Preise

Dass Strompreise in Europa stark schwanken, ist längst kein neues Phänomen mehr – doch die Abhängigkeit vom Wetter nimmt zu. Schon im vergangenen Winter führten ungewöhnlich schwache Windverhältnisse zu deutlichen Preisspitzen. Laut der Wirtschaftsagentur Bloomberg lagen die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten in Deutschland und Großbritannien zuletzt um rund einen Meter pro Sekunde niedriger als in den Jahren 2010 bis 2015. Die geringere Windproduktion schlägt unmittelbar auf den Strommarkt durch.

Fehlen Sonne und Wind zugleich, müssen fossile Kraftwerke einspringen. Oft wird in diesen Phasen zusätzlich Strom aus Nachbarländern importiert – teils aus französischen Kernkraftwerken. Solche Nachfragespitzen lassen die Börsenpreise binnen Stunden steigen und zeigen, wie sensibel das Gleichgewicht im europäischen Stromsystem geworden ist.

Drosselung trotz Überschuss – ein strukturelles Problem

Während bei Kälte Energie knapp wird, zeigt sich im Sommer das Gegenteil: Deutschland musste aufgrund fehlender Speicherkapazitäten und Engpässen im Netz zeitweise große Mengen Solar- und Windstrom abregeln.

Laut dem Finanzdatenanbieter LSEG wurde die Einspeisung aus Photovoltaikanlagen im ersten Halbjahr 2025 um rund 8 Prozent reduziert – doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum. Auch Windräder mussten wiederholt stillstehen, weil die Leitungen in den Süden überlastet waren.

Diese Drosselungen kosten nicht nur Effizienz, sie belasten auch das Vertrauen in die Energiewende. Strom, der eigentlich klimafreundlich erzeugt wird, verpufft ungenutzt. Fachleute sprechen von einem „strukturellen Paradox“: Während Milliarden in den Ausbau der Erneuerbaren fließen, fehlen zugleich die Netze, um den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird.

Speicher und Netze als Engpass

Der Ausbau von Stromtrassen und Speichern gilt daher als zentrale Voraussetzung, um Preisschwankungen zu begrenzen. Bisher geht dieser Fortschritt jedoch zu langsam voran. Nach Angaben der Bundesnetzagentur sind von den geplanten über 12.000 Kilometern neuer Leitungen bislang nur etwa 40 Prozent realisiert. Auch bei Batteriespeichern ist das Wachstum deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Energieexperten fordern deshalb, wetterunabhängige Reservekapazitäten stärker zu fördern – etwa in Form von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Diese könnten einspringen, wenn Wind und Sonne gleichzeitig ausfallen. Bisher fehlen dafür allerdings klare Rahmenbedingungen und langfristige Finanzierungsmodelle.

Gefahr häufiger Preisspitzen

Schon im Februar dieses Jahres führte eine mehrwöchige Windflaute zu Rekordpreisen an der Strombörse. Beobachter sehen darin einen Vorgeschmack auf mögliche Szenarien künftiger Winter. Ohne zusätzliche Speicher und ein flexibleres Netz drohten Preisschübe, wenn die Nachfrage in kalten Phasen steigt.

Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt: „Je stärker der Anteil der Erneuerbaren wächst, desto wichtiger wird die Systemintegration. Wenn das Netz nicht mitwächst, riskieren wir Versorgungslücken und Preisschwankungen.“

Eine wetterfeste Energiewende

Politisch gilt die Versorgungssicherheit inzwischen als gleichrangiges Ziel neben Klimaschutz und Kostenstabilität. Der Bund arbeitet an einer sogenannten Kraftwerksstrategie, die bis 2030 Reservekapazitäten auf Wasserstoffbasis schaffen soll. Auch der Aufbau einer europäischen Speicherinfrastruktur wird diskutiert.

Kurzfristig aber bleibt Deutschland abhängig von den Wetterlaunen. Der jüngste Preisanstieg zeigt, dass die Energiewende zwar große Fortschritte gemacht hat – ihre Stabilität jedoch auf wackligen Füßen steht. Erst wenn Stromnetze, Speicher und Erzeugung besser zusammenspielen, wird das Energiesystem wirklich wetterfest sein.