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Dieses Wohnhaus kommt ohne klassische Heizung aus

In Ingolstadt wird derzeit ein Wohnhaus gebaut, das ohne klassische Warmwasserheizung auskommt. Das Mehrfamilienhaus ist Teil des bayerischen Pilotprojekts „Gebäudetyp-E“, bei dem das „E“ für „einfach“ oder „experimentell“ steht. Ziel ist es, mit reduzierter Technik und klarer Architektur neue Wege beim energieeffizienten und zugleich kostengünstigen Bauen zu erproben.

Pilotprojekt „Gebäudetyp-E“ in Ingolstadt (Screenshot: Bayerischer Rundfunk)

Keine zentrale Heizungsanlage mehr

Die Wärme in den Wohnungen und das warme Wasser werden anders erzeugt als in anderen Gebäuden, sagt der zuständige Architekt. Statt einer zentralen Heizungsanlage nutzt das Haus natürliche Wärmequellen – die Sonne, die Abwärme von Geräten und die Körperwärme der Bewohner. Eine intelligente Lüftung sorge dafür, dass die Räume regelmäßig mit Frischluft versorgt werden, ohne dass zu viel Energie verloren geht.

Reduzierte Technik, hohe Effizienz

Das Gebäude entsteht in einem Neubaugebiet am Stadtrand von Ingolstadt und umfasst 15 Wohneinheiten. Erste Berechnungen zeigen laut Projektträger Einsparungen von rund 25 Prozent gegenüber vergleichbaren Neubauten – trotz hochwertiger Materialien und moderner Architektur.

Insgesamt werden in Bayern derzeit 19 solcher Gebäude errichtet, die das Konzept des „Gebäudetyp-E“ umsetzen. Das Projekt wird von Architekten, Bauingenieuren und Energieexperten gemeinsam mit der bayerischen Staatsregierung begleitet. Es gilt als Versuch, den Wohnungsbau zu vereinfachen und gleichzeitig nachhaltiger zu gestalten.

Gegen den Strom der Normen

Das Projekt sorgt auch für Diskussionen, weil es in Teilen von geltenden DIN-Normen abweicht. Genau das ist laut Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) beabsichtigt. Er sieht in der Abkehr von strengen Standards keinen Regelbruch, sondern eine Chance, den Wohnungsbau zu modernisieren. „Der Staat selbst hat nur rund zehn Prozent der DIN-Normen eingeführt“, so Bernreiter. Die übrigen stammten aus der Zusammenarbeit von Industrie und Deutschem Institut für Normung.

Der Minister betont, dass Bauvorschriften nicht zum Selbstzweck werden dürften: „Wenn wir die Klimaziele erreichen und bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen, müssen wir den Mut haben, einfache Lösungen zuzulassen.“ Der Gebäudetyp-E sei ein Schritt in diese Richtung.

Zwischen Innovation und Regelwerk

DIN-Normen gelten in Deutschland häufig als Mindeststandard. Gerichte orientieren sich bei Bauverfahren regelmäßig daran. Viele Fachleute kritisieren, dass die Vielzahl an Vorschriften Innovationen ausbremst. Bauprojekte, die von den Normen abweichen, benötigen meist Sondergenehmigungen, was zusätzliche Zeit und Kosten verursacht.

Das Deutsche Institut für Normung (DIN) widerspricht dieser Darstellung. In einer Stellungnahme heißt es, Normung basiere auf einem breiten Konsens zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand. Sie sei „kein Hemmnis, sondern ein Beschleuniger für qualitativ gutes und sicheres Bauen“.

Dennoch sehen Architekten wie Neuburger in der Vielzahl an Regelungen ein Problem: „Manchmal verhindert das System die pragmatische Lösung. Der Gebäudetyp-E gibt uns den Freiraum, Dinge auszuprobieren, die außerhalb der üblichen Standards liegen.“

Zukunftsmodell für den Wohnungsbau?

Der Gebäudetyp-E soll zeigen, dass energieeffizientes Bauen auch mit reduzierter Technik funktioniert. Die zentrale Idee: weg von überdimensionierten Anlagen, hin zu einer Bauweise, die auf natürliche Ressourcen und klug konzipierte Architektur setzt.

Ob sich das Modell langfristig durchsetzen kann, hängt auch davon ab, wie es sich im Alltag bewährt. Noch sind viele Fragen offen – etwa, wie sich der Komfort in den Wohnungen im Winter entwickelt oder wie zuverlässig das System bei extremen Wetterlagen arbeitet.