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Niederlande starten Stromlastverteilung: Warnsignal für Deutschland?

Die Energieversorgung in den Niederlanden gerät zunehmend unter Druck. Hintergrund ist unter anderem die 2023 erfolgte Einstellung der Gasproduktion im riesigen Onshore-Gasfeld Groningen. Daraufhin beschleunigte sich die Elektrifizierung in Haushalten und Unternehmen. Tausende warten nun auf einen Stromanschluss.

Strommast (Foto: Nikola Johnny Mirkovic/Unsplash)

Laut dem niederländischen Netzbetreiberverband Netbeheer Nederland stehen derzeit mehr als 11.900 Unternehmen sowie zahlreiche öffentliche Einrichtungen, darunter auch Krankenhäuser und Feuerwachen, auf der Warteliste.

Verzögerte Anschlüsse bis in die 2030er

Trotz des Baus neuer Kabel und Umspannwerke wird es in manchen Regionen voraussichtlich erst Mitte der 2030er-Jahre neue Anschlüsse geben. Die wirtschaftlich bedeutsame Region Brainport rund um Eindhoven ist besonders betroffen. Hier ist bis 2027 kaum mit neuen Netzkapazitäten zu rechnen. Nach Angaben von Eindhovens Bürgermeister Jeroen Dijsselbloem braucht es allein in der Region mehr als 100 mittelgroße sowie 4.000 kleine Umspannwerke.

Parallel dazu fehlen landesweit rund 28.000 Techniker, um die Infrastruktur auszubauen. Die niederländische Regierung geht von Investitionen in Höhe von 200 Milliarden Euro bis 2040 aus.

Lastmanagement statt Rationierung

Erstmals greifen die Niederlande nun zu einem Mittel, das bisher vor allem aus Schwellenländern bekannt war: einer gezielten Stromlastverteilung. Verbraucher erhalten spezielle Verträge, die günstigere Stromtarife bieten, wenn der Stromverbrauch auf Zeiten außerhalb der Spitzenlast verschoben wird. Für Großkunden gelten teilweise Verbrauchsverbote während der Stoßzeiten.

Die Regierung flankiert die Maßnahmen mit einer Informationskampagne, die zum Beispiel empfiehlt, E-Bikes und Elektroautos nicht zwischen 16 und 21 Uhr zu laden. Noch handelt es sich nicht um klassische Rationierungen, sondern um sogenanntes Lastmanagement.

Ein Szenario auch für Deutschland?

Die niederländische Entwicklung gilt als Frühwarnsignal für Deutschland. Auch hier steigt der Strombedarf durch Elektromobilität, Wärmepumpen und Rechenzentren rasant. Laut Bundesnetzagentur sind Netze insbesondere in Ostdeutschland vielerorts überlastet. Der Netzbetreiber Sachsen Energie warnt vor zunehmenden Engpässen durch ungebremste Einspeisung von Solarstrom. Der Netzentwicklungsplan sieht zwar bis 2045 rund 4.800 Kilometer neue Leitungen und 2.500 Kilometer Verstärkungen vor. Doch Projekte wurden bereits mehrfach verschoben.

Die ostdeutschen Betreiber Mitnetz Strom und Sachsen Energie fordern daher eine Synchronisierung von Erneuerbaren-Ausbau und Netzplanung. Investitionen in Milliardenhöhe sind geplant. Gleichzeitig rechnet die Bundesnetzagentur mit Kosten von rund 42 Milliarden Euro bis 2032. Eine aktuelle Studie geht sogar von bis zu 730 Milliarden Euro bis 2045 aus.

Zeitdruck beim Netzausbau

Die Entwicklung in den Niederlanden zeigt, wie schnell ein Stromnetz an seine Grenzen stoßen kann. Der Übertragungsnetzbetreiber TenneT warnt auch in Deutschland vor Verzögerungen beim Ausbau großer Nord-Süd-Leitungen. Problematisch ist vor allem das Missverhältnis zwischen Stromerzeugung im Norden und Verbrauchsschwerpunkten im Süden.

Laut TenneT kann der Verkauf des deutschen Netzanteils zwar rund 20 Milliarden Euro einbringen, doch der Großteil der Investitionen muss über Netzentgelte finanziert werden. Schon heute zählen die Strompreise in den Niederlanden und Deutschland zu den höchsten Europas.

Fachleute wie Zsuzsanna Pató von der Energie-NGO RAP betonen, dass der Aufbau eines Stromnetzes fünf bis sechs Jahre dauert. „Es gibt keine schnelle Lösung“, so Pató gegenüber der Financial Times. Deutschland droht damit ein ähnlicher Engpass wie in den Niederlanden, sollte der Netzausbau nicht massiv beschleunigt werden.