Immer häufiger fällt der Strompreis an der Börse unter null – eine Entwicklung, die auf den ersten Blick nach einem Vorteil für Verbraucher klingt, sich jedoch als teures Problem für das gesamte Energiesystem erweist. Denn Strom zum Nulltarif gibt es nicht wirklich – im Gegenteil: Für Steuerzahler und Stromkunden können die negativen Preise sogar zu Mehrbelastungen führen.

Eine Auswertung der Energiesoftware-Firma 1KOMMA5° auf Basis von Daten der Bundesnetzagentur zeigt: In den ersten Monaten des Jahres 2025 wurden bereits mehr Stunden mit negativen Strompreisen verzeichnet als im gesamten Vorjahr. Im Durchschnitt lag der Strompreis in diesen Zeiträumen bei etwa minus 1,3 Cent pro Kilowattstunde. Am 11. Mai sank er kurzzeitig sogar auf minus 25 Cent. Besonders an sonnigen Tagen kommt es vermehrt zu Überkapazitäten im Stromnetz – vor allem durch die stark gestiegene Einspeisung von Solarenergie.
Was sind negative Strompreise?
Negative Strompreise entstehen, wenn mehr Strom produziert wird, als im Netz abgenommen werden kann. Betreiber von Photovoltaik- und Windkraftanlagen erhalten eine gesetzlich garantierte Vergütung – unabhängig davon, ob der erzeugte Strom tatsächlich gebraucht wird. Wird der Strom an der Börse nicht abgenommen, sinkt der Preis – und kann sogar negativ werden. In diesem Fall zahlen die Netzbetreiber und Stromhändler Geld, um überschüssigen Strom ins Ausland zu exportieren.
Laut Prof. Manuel Frondel vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung gleichen diese Zahlungen einer „Entsorgungsgebühr für Strommüll“. Länder wie die Niederlande oder die Schweiz übernehmen den Strom – gegen Geld.
Folgen für Steuerzahler und Verbraucher
Für den Verbraucher bedeutet das: Die Differenz zwischen negativem Börsenstrompreis und der garantierten Einspeisevergütung wird aus staatlichen Mitteln gedeckt – also aus Steuergeldern. Im Jahr 2024 beliefen sich diese Ausgleichszahlungen auf rund 18,5 Milliarden Euro. Eine Summe, die laut Experten in den kommenden Jahren weiter steigen dürfte.
Hinzu kommt, dass auch nicht eingespeister Strom teuer wird. Immer häufiger müssen Windräder oder Solaranlagen vom Netz genommen werden, weil die Netzkapazitäten nicht ausreichen. Für diese abgeregelte Energie erhalten Betreiber dennoch eine Entschädigung – finanziert über die Netzentgelte, die direkt auf die Stromrechnung der Haushalte durchschlagen.
Kaum Vorteile für private Haushalte
Tatsächlich könnten Verbraucher theoretisch von negativen Strompreisen profitieren – etwa durch dynamische Stromtarife, die sich am Börsenpreis orientieren. Voraussetzung dafür ist allerdings ein sogenannter intelligenter Stromzähler (Smart Meter), der den Verbrauch in Echtzeit erfasst. Doch bislang verfügen laut Schätzungen weniger als drei Prozent der Haushalte in Deutschland über ein solches Gerät. Die allermeisten Verbraucher zahlen daher weiterhin einen konstanten Strompreis – auch dann, wenn der Börsenpreis zwischenzeitlich negativ ist.
Energiewende ohne Synchronisation
Mit dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien – derzeit rund 61 Prozent des Strommixes – steigt der Druck auf das Stromnetz. Doch der notwendige Ausbau der Leitungsinfrastruktur und Speicherkapazitäten bleibt hinter dem Tempo des Ausbaus von Wind- und Solarkraft zurück. Die Folge: Ein zunehmend instabiles System, in dem die Steuerzahler die finanziellen Lücken schließen müssen.
Experten wie Frondel sprechen von einer „unsynchronisierten Energiewende“. Der Strom aus erneuerbaren Quellen sei zwar politisch gewollt und ökologisch sinnvoll, könne aber ohne koordinierte Netzinfrastruktur und flexible Verbrauchsmodelle seine Vorteile nicht ausspielen.
Ausblick: Reformbedarf beim Marktdesign
Langfristig braucht es nach Einschätzung von Fachleuten ein neues Marktdesign, das Flexibilität belohnt und bessere Speicherlösungen fördert. Auch der flächendeckende Einsatz von Smart Metern und dynamischen Tarifen könnte einen Beitrag leisten, um Lastspitzen besser abzufangen. Für den Moment jedoch bleibt der Strom zum Nulltarif eine Illusion – mit spürbaren Kosten für alle.