In Baden-Württemberg und anderen Bundesländern gilt bei Neubauten eine Pflicht zur Installation von Solaranlagen. Doch vielerorts sind die Stromnetze so überlastet, dass neue Anlagen nicht einspeisen dürfen. Netzbetreiber sprechen von technischen Grenzen, Kommunen kämpfen mit langen Genehmigungsverfahren – und Eigentümer geraten zwischen die Fronten von Klimazielen und Verwaltungsrealität.

Seit 2022 ist es in Baden-Württemberg vorgeschrieben, auf neu errichteten Wohnhäusern Photovoltaikanlagen zu installieren. Die Regelung gilt flächendeckend, unabhängig von der Größe oder Nutzung des Gebäudes. Ähnliche Vorschriften existieren auch in Berlin und anderen Bundesländern. Damit soll die Energiewende im Gebäudebereich vorangetrieben werden. Doch in der Praxis stößt diese Vorschrift zunehmend an Grenzen.
In Reutlingen etwa, einer Mittelstadt am Rand der Schwäbischen Alb, berichten Eigentümer, dass sie ihre installierten PV-Anlagen nicht wie geplant nutzen können. Der Grund: Das Stromnetz ist überlastet. Der lokale Netzbetreiber FairNetz, eine Tochter der Stadtwerke Reutlingen, erlaubt aktuell in einigen Stadtteilen keine neuen Einspeisungen. Das gelte vor allem für Tage mit geringer Stromnachfrage, etwa an Wochenenden und Feiertagen, an denen sogenannte Solarspitzen entstehen.
Stromnetze am Limit
„Unser Netz wurde für eine zentrale Stromversorgung konzipiert – nicht für zehntausende dezentrale Einspeiser“, erklärte der FairNetz-Geschäftsführer. Der Boom an privaten Solaranlagen bringt die bestehende Infrastruktur an ihre technischen Grenzen. Das Problem: Viele Verteilnetze wurden nie dafür ausgelegt, große Mengen Strom dezentral aufzunehmen. Wenn zu viel Strom gleichzeitig ins Netz eingespeist wird, droht eine Überlastung.
Dabei ist der Staat selbst in einer Doppelrolle: Einerseits schreibt das Landesgesetz die Solarpflicht vor, andererseits gehören viele der betroffenen Netzbetreiber, wie etwa EnBW, mehrheitlich dem Land oder den Kommunen. In der Praxis führt das zu widersprüchlichen Vorgaben – Bürger und Bauherren sind die Leidtragenden.
Genehmigungen, Standorte, Finanzierung – der Netzausbau stockt
Zwar arbeiten Netzbetreiber am Ausbau der Infrastruktur, doch dieser verläuft langsam. Gründe sind langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, Fachkräftemangel, Materialengpässe und fehlende Standorte für neue Ortsnetzstationen. Letzteres wird inzwischen offen angesprochen: FairNetz ruft Eigentümer aktiv dazu auf, private Grundstücke für neue Netzstationen bereitzustellen.
Wer etwa zehn Quadratmeter Fläche zur Verfügung stellen kann und die baurechtlichen Vorgaben erfüllt, könnte so den Anschluss seiner eigenen PV-Anlage beschleunigen. Bis dahin bleibt vielen Bauherren nur die sogenannte „Nulleinspeisung“.
Nulleinspeisung als Zwischenlösung
Die Nulleinspeisung bedeutet, dass der produzierte Strom nur selbst verbraucht oder gespeichert werden darf, eine Einspeisung ins öffentliche Netz ist vorerst nicht möglich. Anlagen dürfen trotzdem installiert und betrieben werden – allerdings auf eigenes Risiko. Ohne Speichertechnologie oder hohen Eigenverbrauch sinkt die Rentabilität erheblich.
Netzbetreiber betonen, dass mit dem Netzausbau auch die Einspeisung möglich werde. Wann genau dies geschieht, bleibt jedoch offen. Angesichts der schleppenden Verfahren kann es Monate oder Jahre dauern, bis die Voraussetzungen für eine Einspeisung geschaffen sind.
Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Der Fall Reutlingen ist kein Einzelfall. Auch in anderen Regionen stoßen Solaranlagen zunehmend auf strukturelle Hürden. Während politische Programme ambitionierte Ausbauziele setzen, hinkt die praktische Umsetzung hinterher. Die Diskrepanz zwischen gesetzlichen Vorgaben und technischer Realität wird damit zu einem wachsenden Problem der Energiewende.
Hinzu kommt, dass die EU inzwischen mit bindenden Zielvorgaben agiert. Der Europäische Gerichtshof hat wiederholt betont, dass Mitgliedstaaten ihre Ausbauziele für erneuerbare Energien verbindlich einhalten müssen. Spielräume für lokale oder nationale Besonderheiten, etwa beim Denkmalschutz, werden dadurch enger. Auch das erhöht den Druck auf die Behörden vor Ort.