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Wohnungswirtschaft kritisiert hohe Kosten und geringe Wirkung energetischer Sanierungen

Die energetische Sanierung von Gebäuden gilt als einer der zentralen Hebel der deutschen Klimapolitik. Doch in der Wohnungswirtschaft wächst die Kritik. Lars von Lackum, Vorstandsvorsitzender des Wohnungskonzerns LEG, hält viele Dämmmaßnahmen für überteuert und ineffektiv. „Dämmen ist unfassbar teuer und hat kaum Klimaeffekte“, sagte er im Gespräch mit n-tv – und stellte damit eine Grundsäule der Energiewende infrage.

Von Lackum warnt zugleich vor einem Stillstand auf dem Wohnungsmarkt. „Bauen ist in Deutschland kaum noch bezahlbar, und Wohnen wird zum Luxusgut“, sagte der Manager. Besonders die Vielzahl von Sanierungsvorgaben bezeichnet er als „Irrweg“. Nach Berechnungen des Verbands der Wohnungswirtschaft (GDW) seien zwischen 2010 und 2022 jährlich rund 45 Milliarden Euro in Dämmprojekte geflossen – der tatsächliche Energieverbrauch der Gebäude sei im gleichen Zeitraum aber nur um weniger als ein Prozent gesunken.

Zwischen Anspruch und Realität

Von Lackums Kritik stößt in der Branche auf Zustimmung, aber auch auf Einwände. Dirk Salewski, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), spricht von einer wachsenden Diskrepanz zwischen politischen Zielen und wirtschaftlicher Realität. „Beim Thema Dämmung klaffen Wunsch und Wirklichkeit auseinander“, sagte er der Berliner Zeitung.

Er sieht die Bauwirtschaft in einem „Dickicht aus Vorschriften und Förderbedingungen“ gefangen. Über Jahre sei zu stark auf Perfektion gesetzt worden, während bezahlbare Standards vernachlässigt worden seien. „Wir haben nur den Gold-Standard gebaut – aber keinen vernünftigen Standard, der für breite Schichten erreichbar ist“, so Salewski.

Rekordkosten im Wohnungsbau

Tatsächlich ist Bauen so teuer wie nie. Nach Daten der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) im Auftrag des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) lagen die durchschnittlichen Baukosten für Geschosswohnungen in Großstädten zuletzt bei 4.473 Euro pro Quadratmeter – Grundstückskosten nicht eingerechnet. Ein Rekordwert.

Ein Berliner Bauunternehmen nennt konkrete Zahlen: Die Dämmung eines fünfgeschossigen Mehrfamilienhauses koste inzwischen über 110.000 Euro, bei Einfamilienhäusern bis zu 160 Euro pro Quadratmeter. Viele Bauträger und private Eigentümer könnten solche Zusatzkosten nicht mehr tragen.

Von Lackum fordert deshalb einen „realistischen Kurswechsel“ in der Baupolitik. Deutschland brauche weniger Auflagen und schnellere Genehmigungen, statt „immer neue Standards zu erfinden“. Als Vorbild nennt er das pragmatische Bauen der Nachkriegszeit.

20.000 Vorschriften – ein System im Stillstand

Laut Deutschem Städte- und Gemeindebund existieren heute mehr als 20.000 Einzelvorschriften, die den Bauprozess beeinflussen – vom Gebäudeenergiegesetz über 16 Landesbauordnungen bis zu zahllosen DIN-Normen und Förderauflagen.

Auch Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, sieht darin ein Kernproblem. „Kommunen stellen zusätzlich eigene Anforderungen, sodass Bauherren teils Fördermittelberater engagieren müssen, nur um den Überblick zu behalten.“

Rechnet sich die Dämmung überhaupt?

Die Bewertung der Wirtschaftlichkeit bleibt umstritten. „Pauschale Aussagen sind nicht möglich“, betont ZDB-Sprecherin Iris Raabe. Effizienzgewinne hingen stark vom Ausgangszustand und vom angestrebten Energiestandard ab. Auch Nutzerverhalten und Gebäudetechnik spielten eine große Rolle.

Müller ergänzt: „Ohne Dämmung geht es nicht – aber sie allein ist kein Heilsbringer.“ Je dichter ein Gebäude gebaut werde, desto mehr Technik brauche es, um für Luftzirkulation zu sorgen. „Und genau hier entstehen neue Kosten, weil viele Bewohner nicht nach technischen Vorgaben lüften oder heizen.“

Heizkosten steigen weiter

Parallel dazu belasten steigende Energiepreise die Haushalte. Nach Berechnungen der staatlich finanzierten Plattform co2online müssen Mieter 2025 durchschnittlich 1.180 Euro Heizkosten für eine 70-Quadratmeter-Wohnung mit Gasheizung einkalkulieren – rund 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch Heizöl, Fernwärme, Holzpellets und Wärmepumpen werden teurer.

Der Trend dürfte anhalten: Neben Energiepreisen treiben vor allem höhere CO₂-Abgaben und Netzgebühren die Kosten langfristig nach oben.

Ein Mittelweg statt Gold-Standard

Die Kritik aus der Branche deutet auf ein wachsendes Spannungsfeld hin: zwischen ehrgeiziger Klimapolitik und der Frage, wie viel Effizienz sich die Gesellschaft leisten kann. Während Politik und Umweltverbände weiter auf maximale Standards setzen, fordern Wohnungswirtschaft und Bauindustrie einen „goldenen Mittelweg“ – bezahlbar, pragmatisch und technisch machbar.

Ohne Kurskorrektur, so die Warnung vieler Experten, drohe Deutschland beim Wohnungsbau den Anschluss zu verlieren – und der Traum vom klimaneutralen, aber zugleich bezahlbaren Wohnen könnte endgültig platzen.